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Niemand ist tot, bis er warm und tot ist

Summary:

Es kommt noch besser: Auf dem Stuhl in der Ecke des Zimmers sitzt das Arschloch vom Mord. Adams einzige Hoffnung ist, dass der noch nicht weiß, dass Adam wach ist.

Die, in der Adam die Novembernacht im Schnee überlebt, und sein Zustand einen anderen schwierigen Berliner auf den Plan ruft.

Notes:

Whumptober Tag 23 ”How’d I get to this place?” und Intubation und ICU und Choking

Zweiter Teil von Unter dem elektrischen Mond und Teil des Adam in Berlin Universums (vielleichtttttt ist das gar keine AU von In den Rahmen alter Bilder, sondern es ist beides passiert... Aber das entscheide ich dann bei zukünftigen Abstechern in diese Welt.)

Danke an Tabea für die Hilfe beim Ausloten medizinischer Abgründe, meine Uni-Bib, fürs Anbieten von Büchern, die nichts mit meinem aktuellen Modul zu tun haben, aber ganz toll für Schreibrecherche sind, und an theywrite für Kommata und andere Kommentare, die Leben retten <3

Merkwürdige Metaphern aus Wahlsprüchen der Notfallmedizin machen? Check ✅

(See the end of the work for more notes.)

Work Text:

 

trotz dem gefühl, dass ein ende sich nähert / schlägt es tapfer, dein emsiges herz (da, wo du liegst) - casper, alaska


Adam würgt sich wach.

Ein ohrenbetäubendes Piepen findet ihn in der Schwärze, reißt unsanft an ihm, will ihn zurück. Mit jedem Blinzeln schießt grelles Licht direkt in seinen Kopf. Warme Luft bläst unter die Bettdecke, direkt an seinen Bauch. In seiner Lende, in seiner Hand, überall steckt etwas, sticht durch seine Haut, zerrt an ihm. Zum Wehren reicht es grade nicht, nur zum Husten und selbst das klappt nicht richtig. Bis dumpfe Stimmen Dinge sagen, Hände nach ihm greifen, irgendetwas durch seinen Hals gezogen wird. Dann klappt das Husten doch.

Nicht, dass es die Situation viel angenehmer macht. Es tut scheiße weh. Sein Rücken zieht, seine Rippen fühlen sich an, als hätte ihn bei der letzten Demo ein Wasserwerfer überfahren, jeder Muskel in seinem Körper kämpft gegen die Steife, die ihn nicht verlassen will.

Die Augen zukneifen reicht nicht. Er will zurück dahin, wo alles dunkel und weich ist. Jetzt.

Die dumpfen Stimmen sehen das anders. Augen aufmachen. Mit seinen Fingern und Zehen wackeln und dabei hoffen, dass sie nicht gleich abfallen. Reden. Er weiß nicht, ob das, was aus seinem Mund kommt, auch nur ansatzweise Sinn macht, aber nach ein paar Minuten hat er verstanden, dass es nur einen Weg zurück in seinen gesegneten Schlaf gibt: Mitmachen. So lange die wollen.

Du weißt doch, dass der Scheiß irgendwann immer weiter geht. Dachtest du echt—

 

Das nächste Mal wird er von einem Surren wach. Irgendwas klammert sich um seinen Oberarm. Er versucht mit der anderen Hand, zu ermitteln, was ihn da schon wieder aus dem Schlaf reißt, und bleibt hängen. Es zieht auf seinem Handrücken, klappert irgendwo am Bettgestell, und er lässt ein frustriertes Knurren in den Raum hallen.

Bevor er einen Weg finden kann, den Störenfried doch noch gewaltsam zu entfernen, lockert sich der Griff schon wieder. Mit einem Seufzen blinzelt er sich langsam in die grelle Welt, beäugt die Quelle seines Unmuts mit verschwommenem Blick und findet eine Blutdruckmanschette. Krankenhaus, immer noch. Scheiße.

Es kommt noch besser: Auf dem Stuhl in der Ecke des Zimmers sitzt das Arschloch vom Mord. Adams einzige Hoffnung ist, dass der noch nicht weiß, dass Adam wach ist.

“Schürk?”, windet sich die verhasste Stimme durch seinen Gehörgang.

So viel dazu. Er gibt die geschlossenen Augen auf.

Eigentlich will Adam “Verpiss dich” sagen, aber die Worte verschwinden prompt in einem Hustenanfall.

Der Mann rutscht auf dem Plastikstuhl herum und sieht mehrfach verunsichert zwischen Patientenklingel und Zimmertür hin und her. Adam hustet noch ein paar Mal drauf, weil ihm der Blick eigentlich ganz gut gefällt. Bevor der Typ dann doch die Reißleine ziehen und noch mehr ungebetene Gäste in den Raum holen kann, hört Adam auf.

“Karow”, krächzt er, und klopft sich für seine ausgesprochene Höflichkeit selbst auf die Schulter.

Karow beäugt ihn skeptisch. Ein bisschen so, als könnte Adam auseinander fallen, wenn jetzt jemand etwas Falsches sagt. Adam hasst es. Er guckt an sich runter und findet ein blau-weiß kariertes Hemd mit lose herumhängenden Schnüren. Wenn man es genau nimmt, ist er eigentlich halbnackt. Die Bettdecke ist sein einziger Trost. Sehr sexy.

“Die Kollegen müssen dich später befragen”, sagt Karow statt einer Begrüßung. “Dachte erst, dass das ein Job für die Rubin und mich wird, aber dann haben sie doch noch ‘nen Puls gefunden”

Adam lacht trocken. Die Phase der Zurückhaltung ist wohl vorbei. Der fackelt nie lange, warum sollte das heute anders sein.

“Warum bist du dann hier?”, fragt Adam, versucht es scharf, und endet bei rostigem Buttermesser.

Vielleicht ist er hier, weil er es lustig findet, Adam auf den Sack zu gehen. Wäre nicht das erste Mal. Oder er ist so gelangweilt, dass er auf Adams verspätetes Ableben hofft, nur um doch noch einen Fall für sich draus zu machen. Vielleicht ist das auch ein Versuch ihn ins Bett—

Ich hab dich nicht drum gebeten, halbtot auf meinem Weg zur Arbeit rumzuliegen. Ich bin im Übrigen auch weder ein Freund von Morgensport, noch Erste-Hilfe-Übungen vor dem ersten Kaffee”, spuckt Karow ihm entgegen.

Das erklärt dann wohl das Gefühl, überfahren worden zu sein. Aber immer noch nicht, warum zum Teufel der Mann ihn jetzt im Krankenhaus weiter belästigt. Hat dem der ausgiebige Körperkontakt von Hand zu Brust nicht gereicht? Warte, war da Mund-zu-Mund involviert? Wie lange ist das überhaupt her? Wie lange war Adam weg?

Adams Augen müssen sich unmerklich geweitet haben, denn irgendetwas huscht über Karows Gesicht. Er schaut runter auf den Boden, und setzt dann wieder an: “Dein sogenannter Notfallkontakt hat nicht abgehoben, also bin ich mal hier geblieben. Kein Anschluss unter dieser Nummer.”

Da ist eine gewisse Betretenheit. Adam will die Vorwürfe zurück. Karow liefert. “Gibts die Person überhaupt? Hast du ein paar Mal gewürfelt und die Zahlen in die Personalakte geschrieben?”

Adam sagt nichts.

“Idiot. Was ist passiert?”

“Nichts”, spuckt Adam aus.

Karow lacht abfällig. “Nichts, ja klar. Spuren von Gewalteinwirkung, auch sexueller Natur, Sperma, Alkoholintoxikation, die restlichen Substanzen werden noch ermittelt. Was soll da schon gewesen sein.”

“Du hast beim Seminar sensible Kommunikation mit Opfern von Gewaltverbrechen ganz genau aufgepasst, was?”, schießt Adam zurück.

Karow schluckt. Er schaut Adam ein wenig betroffen an, macht sein Gesicht aber schnell wieder hart. Adam hat es trotzdem gesehen. Ding ding ding. Eins zu null. Den Sieg kann er nicht lange auskosten, denn das Mitleid, das da mitschwingt, droht ihn zu ertränken.

“Keine Sorge. Wirklich nichts”, setzt er schnell nach.

Karow schaut ihn verständnislos an. Er guckt zur Tür, senkt plötzlich seine Stimme: “Schürk, schützt du irgendwen? Steckst du in irgendwas drin? Warst du in ‘ner verdeckten Ermittlung? Die Kollegen haben nichts gesagt—”

“Nein”, blafft Adam, “nein, ich— ich wollte das.”

Karow lacht auf. “Was, im Park erfrieren?”

“Die fucking Spuren von Gewalteinwirkung, halt doch einfach deine Scheiß-Fresse!”

Adam will das Geständnis zurück nehmen. Jetzt, sofort. Ich wollte das. Warum zum Fick hat er das gesagt. Er läuft langsam rot an. Es brennt unter seiner Haut, ungewohnt, unangenehm warm. Karow schluckt wieder, fixiert ihn mit seinen eisigen Augen. Adam windet sich unter seinem Blick.

Irgendwann hält er es nicht mehr aus und dreht sich weg. Sein Rücken ächzt, seine Rippen schreien. Die Schläuche um ihn herum bleiben irgendwo hängen, an seinem Arsch hebt sich die Decke und lässt ein Fenster, durch das der kalte Raum an seine Haut kriecht. Nichts an seiner neuen Position ist erträglich, aber sich sofort wieder zurückzudrehen käme Kapitulation gleich.

Es brodelt unter seinem Brustbein, so laut, so heiß, dass er die Worte nicht aufhalten kann. “Erzähl den Scheiß jetzt nicht im Präsidium rum”, murmelt Adam, halb ins Kissen. “Bitte.” Ganz leise. Es fühlt sich schlimm an, wie klein er das jetzt fragen muss.

Die Stille hängt lange im Raum. Er spürt den bohrenden Blick von Karow in seinem Rücken, und realisiert, dass der Mann die Striemen und Narben sehen muss, so wie sein Hemd hängt. Scheiße. Er lässt sich zurück auf den Rücken plumpsen und kann ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterdrücken. So ist es schwerer, Karows Blick auszuweichen, aber wenigstens reißt er keine weiteren Wunden in seine entblößte Haut. Adam macht sich so starr er kann und harrt der Dinge.

Karow hat Geduld. Und nach ein paar Minuten fängt er Adams Blick doch. Er mustert ihn sanft, scheint etwas zu sehen, das Adam ihm nicht zeigen will, und antwortet nach Minuten, und doch nahtlos.

“Weiß doch inzwischen jedes Streifenhörnchen, dass ich gerne gefickt werde, Schürk. Und ein bisschen gepflegter Masochismus? Musst dich doch jetzt nicht schämen, dafür.” Seine Stimme ist weich, so gar nicht Karow plötzlich. Dann übernimmt das süffisante Grinsen wieder. “Im Park erfrieren kannte ich allerdings noch nicht”, stichelt er. “Also es gibt ja wirklich alles, versteh mich nicht falsch, aber da musst du mich mal aufklären. Wars geil?”

“Fick dich”, schnaubt Adam, und das Brodeln kocht erleichtert über. Er will ihn fertig machen.

“Nee, danke. Du bist so bleich, wenn dir das Blut dann auch noch nach unten schießt ist ja nichts mehr übrig. Leichen sind nicht so meins.”

Spätestens jetzt wäre der Moment gekommen, in dem Adam ihm in die Fresse geschlagen hätte. Leider sieht er sich gerade nicht einmal imstande aufzustehen. Der rechte Haken würde sich wahrscheinlich eher wie ein unbeholfener Annäherungsversuch anfühlen, anstatt wirklich weh zu tun.“Kannst du dich einfach verpissen? Ich meins ernst”, faucht er in Ermangelung sprechender Fäuste.

Karow weicht der Frage aus, ohne sie auch nur einer Reaktion zu würdigen. “Schürk. Hast du irgendeine sinnvolle Story für die Kollegen? Die wirst du brauchen.”

Er hat ja Recht.

“Hab mich halt verlaufen”, platzt es aus Adam heraus.

“Bei aller Liebe zu schlechten Alibis, für Verlaufen und aus purer Verzweiflung den dramatischen Abgang machen war’s einfach nicht kalt genug.”

“Ja, ich merk’s.”

Dieses Mal spuckt er es Karow ins Gesicht. Er weiß auch nicht, woher das kommt. Er will nicht, dass das Arschloch es weiß, aber gleichzeitig will er zu ihm durch. Seine gottverdammte Maske verbeulen, seine beschissenen Witze zu Boden treten, ihm irgendwie weh tun, wieder diesen betroffenen Gesichtsausdruck zurück. Nicht, dass er es ertragen kann, wenn er da plötzlich wieder Mitleid findet, aber einfach nur, um zu sehen, dass er schwankt. Dass er ihn unvorbereitet treffen kann.

Adam kriegt beides. Das sanfte Mitleid, das hinter seinem Brustbein alles wegätzt, und den betroffenen Gesichtsausdruck, den Moment, in dem etwas klickt, und Karow kurz verloren aussieht.

“Ah”, sagt er nur, und steht auf. “Na du warst nah dran. Glückwunsch, nächstes Mal klappt’s bestimmt.”

Mit diesen Worten verlässt Karow den Raum und lässt Adam alleine zurück.

 

Die Kollegen glauben Adam die halbe Wahrheit. Es passt anscheinend zu seinem Ruf, es beim Feiern so sehr übertrieben zu haben. Gut, denkt Adam, und ignoriert das kalte Ziehen in seinem Bauch.

 

Sie sind schon lange fertig damit, ihn wieder warm zu machen. Seit gestern Mittag war er laut Akte im Normalbereich, und sein Herz hat auch keine Faxen mehr gemacht, sagt die nette Ärztin. Er muss unfreiwillig lachen, und erklärt nicht, warum.

Bei der Morgenrunde zeigt Schwester Erika ihm vergnügt die Zahl auf dem Thermometer. 37,2 Grad. “Niemand ist tot, bis er warm und tot ist”, sagt sie, “und ganz offensichtlich sind Sie warm und leben.” Adam versteht schon, dass das ein bisschen witzig sein soll. Eine Gratulation. Das schiefe Lächeln, das er ihr gönnt, erreicht seine Augen trotzdem nicht.

 

Das Bett rattert unter ihm. Er starrt in die gleißenden Leuchtstoffröhren an der kahlen Decke, und fröstelt. Fabian, die Frühschicht auf der anderen Station, ist weder besonders nett noch witzig. Hinter jedem Satz an Adam steckt ein kaltes Urteil. Wahrscheinlich hat er Recht, denkt Adam, und schaudert. Wenigstens piept es hier nicht mehr ständig. Wenigstens reißt ihn kein harter Griff am Arm aus seinen Versuchen, dem Tag davon zu dösen.

Karow kommt wieder und nimmt ihm seine Schlüssel ab. Adam versteht immer noch nicht, was er von ihm will.

Beim Mittagessen findet er einen Grund Fabian anzublaffen, bis der behauptet Adam wolle gegen ärztlichen Rat gehen. Will er auch eigentlich, aber Karow ist immer noch nicht zurück, und er kann weder im wehenden Karo-Lätzchen noch im zerschnittenen Mesh-Shirt den Nachhauseweg antreten. Also beruhigt er sich wieder, und verspricht der Stationsärztin unwirsch das hart arbeitende Pflegepersonal mit mehr Respekt zu behandeln.

 

Die Sporttasche fällt mit einem satten Knall auf den Boden und reißt ihn aus unruhigen Träumen. Gerade ist er noch durch den Wald gerannt, Dornen im Gesicht, schleimiges Laub unter nackten Füßen, Winterkälte, die in seine Knochen kriecht, immer weiter, immer tiefer. Jetzt mustern ihn funkelnde Augen. Er kann die Fresse nicht mehr sehen.

“Deine Wohnung sieht scheiße aus”, sagt Karow und gießt sich ein Glas Wasser vom Nachttisch ein.

“Ich muss da eh bald raus”, krächzt Adam.

Karow schnaubt, trinkt das Glas in einem Zug aus und knallt es leer auf den Tisch. “Na, dann ist ja gut. Wo ist dein Handy?”

“Was willst du mit meinem Handy?”

Eine Antwort bekommt Adam nicht. Bevor er sich aufrappeln kann, wühlen fremde Hände durch die Schublade und finden, was sie suchen.

“Sag mal, geht’s noch?”, protestiert Adam und kämpft sich aus der Bettdecke. Leider ist seine schwankende Gestalt bekleidet vom Krankenhaushemd kein besonders bedrohlicher Anblick. Erst recht nicht, als er sich wieder auf die Bettkante zurückfallen lassen muss. Zu schnell aufgestanden.

“Akku leer”, stellt Karow enttäuscht fest. “Ein Kabel ist da jetzt nicht drin.” Er versetzt der Sporttasche einen demonstrativen Tritt und wirft das tote Handy aufs Bett. “Komm, sag an, was ist deine Nummer?”

“Was willst du mit meiner Nummer?”

“Naja, jetzt wo ich weiß, wie geil du aussiehst, selbst wenn du grade abkratzt…”

Das Brodeln in Adams Brust droht, überzukochen, und es kann nirgendwo hin. Er steht auf und schwankt dieses Mal weniger. Imposant ist das Bild, das er abgibt, trotzdem nicht. “Verpisst du dich endlich, wenn ich dir die gebe?”

Karow zuckt mit den Schultern.

Adam blafft die Zahlen in den Raum und Karow tippt sie mit triumphierendem Grinsen in sein Telefon.

“Wenn die wieder gewürfelt sind, kriegen wir ein Problem miteinander, Schürk. Dein Chef schuldet mir noch was.”

“Die Tür ist da vorne”, sagt Adam, obwohl Karow schon längst die Klinke in der Hand hat. Der Pisser hat sie doch nicht mehr alle.

Kaum ist die Tür hinter seinem ungebetenen Gast ins Schloss gefallen, meldet sich der alte Mann aus dem Bett am Fenster. Adam hat vergessen, dass Karow nicht der einzige ist, dem er seinen geschundenen Arsch nicht präsentieren wollte.

“Der ist ja ein angenehmer Zeitgenosse. Sie passen zusammen”, murmelt der Glatzkopf amüsiert, und wendet sich wieder seiner Fernsehzeitschrift zu. Adam hebt wortlos die Tasche vom Boden auf.

Im Bad schlüpft er mit einem Seufzen in den weichsten Hoodie, den er hat. Er zieht die Kapuze über seine strubbeligen Haare, vergräbt seine Nase im Kragen, spielt gedankenverloren mit den Schnüren und starrt sich im Spiegel an. Der Pulli war immer der Wärmste. Heute richtet er nicht viel aus.

 

Das Graffiti am anderen Ende der Gleise verschwimmt vor seinen Augen. Neon-pink und grün springen ihm die Buchstaben entgegen. ACAB, in bunt. Einer seiner Mundwinkel hebt sich müde. Im Tunnel rattert es verheißungsvoll.

Der Luftrausch des einfahrenden Zuges zieht unter seine Kapuze, den Hals herunter. Spült den Winter an seine Haut, nimmt den ganzen Bahnhof ein, reißt an Adam, bis er einsteigt. Drinnen spielt ein Kind an den Haltestangen, dreht sich immer wieder, zupft am Hosenbein seiner genervten Mutter. Die Türen zischen und die Bahn spuckt ihn wieder aus.

Vor dem Penny kniet ein Mann mit zerrupftem Pappbecher. Jeder Atemzug friert in der Luft vor seinem Gesicht. Adam atmet ihm entgegen und findet in der Tasche seiner Jogginghose zwei verlorene Münzen. Das Metall ist so kalt wie seine Hand.

 

Karow hatte Recht, die Wohnung sieht aus wie Scheiße. Halb aufgerissene Briefumschläge, versiffte Pizzakartons, Teller, auf denen Ketchupberge eintrocknen. Alles zwischen Lehrbüchern, Wandtattoos und Blumenbettwäsche der Jurastudentin, von der er das Zimmer gemietet hat. Zwei Monate London haben ihre Eltern ihr gegönnt.

Sein Blick gleitet müde über die eingetrocknete Spinnenpflanze. Kriegst du nicht kaputt, hat die vergnügte Dreiundzwanzigjährige ihm noch gesagt, als sie ihm den Schlüssel in die Hand gedrückt hat. Sie konnte ja nicht wissen, dass Adam am Ende alles kaputt kriegt. Da muss er sich nicht mal groß anstrengen.

Er duscht heiß, lange. Lehnt mit der Stirn an den harten Fliesen und lässt das Wasser über seine blonden Strähnen in seinen Mund laufen. Ihm ist immer noch nicht warm.

 

Zum ersten Mal seit drei Tagen schaltet Adam sein Handy an. Die Anzahl von Benachrichtigungen ist überschaubar. Ein paar verpasste Anrufe von seinem Chef, ein nüchternes "Gute Besserung" von Kollegin Linda, Spam E-Mails zu Penispumpen und Bürostühlen.

Seine Finger finden ihren Weg zum Facebook-Logo, bevor er sie daran hindern kann. Natürlich hat Leo Facebook. Unter einem Nickname, mit dem Großteil seiner Beiträge versteckt für die Öffentlichkeit. Adam hat ihm trotz seines anonymen Profils nie eine Anfrage geschickt. Er begnügt sich damit, dass hin und wieder das Profilbild wechselt. Oder der Arbeitsplatz, wie vor zwei Jahren. LKA Saarbrücken. Mordkommission, hat er später rausgefunden.

Heute ist nichts anders als vor zwei Wochen. Die karge Seite gähnt ihm entgegen, sperrt ihn aus, lässt ihn draußen in der Kälte stehen.

Sein Handy vibriert. Eine Nachricht verdeckt am oberen Bildrand Leos Silhouette im Sonnenuntergang an irgendeinem Strand. Unbekannte Nummer, eine echte SMS. Adam seufzt und öffnet sie.

Hallo Adam!
Robert hat gesagt, dass du ein Zimmer suchst. Ich brauch ab Mitte Dezember einen neuen Mitbewohner. Lass mal quatschen.
LG Vincent

Er lässt sein Handy sinken und starrt an die Decke. Der Wind zerrt an den schlecht isolierten Altbaufenstern. Heult im Kanon mit seinem Herz, das unerbittlich gegen sein Brustbein pocht.

Solange ihm kalt ist, kann er eben noch nicht tot sein.

Notes:

kudos und Kommentare sind echte lichtblicke im unialltag momentan :) yap at me! auch gerne auf discord oder tumblr (geese-villain)