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Characters:
Additional Tags:
Language:
Deutsch
Stats:
Published:
2024-01-01
Completed:
2024-01-01
Words:
5,692
Chapters:
6/6
Comments:
18
Kudos:
85
Bookmarks:
2
Hits:
644

(Gefühle gehen) durch den Magen

Summary:

Essen. Eines der einfachsten Dinge der Welt, und doch oft so unendlich kompliziert, wie Leo es immer wieder erlebt.

Fünf Momente, in denen Leo Situationen rund um das Essen in Gedankenspiralen schicken und einmal, als er nicht nachdenken muss.

Notes:

Vielen Dank an die üblichen Verdächtigen für den initialen Gedankenanstoß und den Schokostreuselbrot-Diskurs. Und an Maddy für den hilfreich-kritischen Blick. ❤️

Leo hat ein grundsätzlich gesundes und entspanntes Verhältnis zu Essen an sich in dieser Story. Die Herausforderungen entstehen durch die Situationen rundherum, aber es werden hier keine Essstörungen oder Ähnliches thematisiert.

Warnung: Das erste Kapitel dreht sich um ein recht ausführlich beschriebenes Mobbing-Erlebnis von Leo in der Schulzeit. Wer das lieber nicht lesen möchte, springt bitte direkt zu Kapitel 2.

(See the end of the work for more notes.)

Chapter Text

Leo denkt sich nichts dabei, als er am ersten längeren Schultag nach den Sommerferien in der Mittagspause seine Brotdose auspackt. Er ist es gewöhnt, mittags in der Schule zu essen - das hat er schon seit der ersten Klasse in der Nachmittagsbetreuung so gelernt - aber dieses Jahr läuft zum ersten Mal der Unterricht bis in den Nachmittag hinein und seine ganze Klasse ist hier im Schulhof verteilt und vertreibt sich die Zeit bis zur Musikstunde.

Er hat eine der Sitzbänke im Schatten unter den Ahornbäumen ergattert und sich gerade eingerichtet, die Schultasche links neben sich und die Brotdose rechts, als Justin und Kevin auf ihn zusteuern.

Kevin ist dieses Jahr sein Sitznachbar in der Schule und zwar nicht allzu begeistert davon, aber bisher immerhin nett gewesen. Mit ihm kommt Leo klar, oder hofft es zumindest. Weil wenn er etwas nicht nochmal will, dann ist es eine Situation wie mit Justin im Vorjahr, als sie nebeneinander saßen, Leo am Fenster und Justin auf der Gangseite des Tisches. Es war ein guter Tag, wenn keine Worte gesprochen wurden, oder wenn Leo nicht fast zusammenbrach vor Verzweiflung, weil er es nicht wagte, aufzustehen und an Justin vorbei zur Toilette zu gehen.

"Hey, Hölzer." Kevin schaut ihn neugierig an und kommt näher, bis er sich neben Leos Rucksack auf die Bank setzen kann. "Hier noch frei?"

Als ob das noch einen Unterschied macht. Leo nickt vorsichtig und versucht, sich seine Resignation nicht anmerken zu lassen. Er hat gehofft, dass es mit Kevin dieses Jahr funktionieren wird, aber wenn der jetzt schon mit Justin Zeit verbringt, dann hat er bestimmt schon alle möglichen Dinge über Leo erzählt bekommen. Und Justin kann da sehr überzeugend sein, das weiß Leo zur Genüge. Dass alle in der Klasse Justin die verdrehten, erfundenen, übertriebenen Geschichten glauben, ist fast noch schlimmer als die Tatsache, dass sich keiner die Mühe macht, Leo nach seiner Version zu fragen.

Auf seiner anderen Seite nimmt Justin Platz. Für Leo ist es ein Kampf, nicht zusammenzuzucken oder die Flucht zu ergreifen. Aber er weiß, dass er verloren hat, wenn er jetzt aufsteht.

"Was hat dir deine Mama", Justin betont das Wort fast schon höhnisch, "diesmal eingepackt? Ein Hipp-Gläschen für ihr Baby?"

Leo möchte im Boden versinken, einfach weil er keinen Weg aus dieser Situation hinaus sieht. Seine Hände zittern vor plötzlicher eingebildeter Kälte, als er nach der Brotdose greift.

Justin ist schneller. Bevor Leo reagieren kann, hat er sich die Brotdose geschnappt, den Deckel aufgeklappt und schaut hinein.

“Was zur Hölle frisst du da, Hölzer? Was soll das denn sein?”

“Gib das her, Justin.” Leo muss es zumindest versuchen, auch wenn er weiß, dass es zwecklos ist.

“Erst wenn du mir erklärst, was das für ein Zeug sein soll.” Justin nimmt das Brot aus der Dose und Leo weiß jetzt schon, dass er es nicht mehr essen wird. Nicht, wenn Justin es angefasst hat. Außerdem denkt er sowieso nicht, dass er es zurückbekommen wird.

Er behält recht.

“Scheiße, was soll das denn sein?” Justin hat das Brot aufgeklappt und wirft die obere Hälfte achtlos auf den Boden, wo es auf dem schmutzig-staubigen Kies liegenbleibt. Hastig versucht Leo, möglichst teilnahmslos zu wirken. Wenn er jetzt den Tränen nachgibt, die in seinen Augen brennen, dann ist es vorbei.

Es ist nur ein Pausenbrot. Leos Pausenbrot, das jetzt von Justin unter Glucksen und Johlen näher begutachtet wird. Mit zwei Fingern zieht er auch die untere Hälfte aus der Box und wedelt damit herum. Kleine braune Schokostreusel lösen sich von der Butter und fliegen in alle Richtungen.

“Was soll das sein, Hölzer? Sieht ja aus, als hätt dein Hamster aufs Brot gekackt!”

“Total!” Kevin lehnt sich nun auch nach vorne und bekommt das Brot von Justin unter die Nase gehalten, bis er laut lacht. Der Klang fährt Leo eiskalt den Rücken hinunter. “Hamsterscheiße! Hölzer, wieso frisst du das? Macht ihr das alle bei euch zuhause?”

Leo würde es so gerne erklären. Würde gerne erzählen, wie sie diesen Sommer für eine Woche in den Niederlanden waren, weil seine Eltern beruflich in Amsterdam zu tun hatten. Würde so gerne beschreiben, wie das Frühstück im Hotel ausgesehen hat und wie er von einer Mitarbeiterin dort gelernt hat, dass man in den Niederlanden Schokostreusel auf Buttertoast packt.

Eine schöne Woche war das, weil seine Eltern tatsächlich ein wenig mehr Zeit für ihn und Caro hatten. Sie konnten gemeinsam ein paar Ausflüge machen und sogar eine Schiffsfahrt durch die Grachten, und Leo hat heute noch den Geruch von Wasser und Schiffsdiesel in der Nase und spürt die Vibrationen des Motors unter den Füßen, wenn er sich ein wenig anstrengt. Wunderbar war das und hat sich angefühlt, als würde alles ein wenig wärmer und enger werden. Leo hätte sich das gerne länger bewahrt, mit den gesammelten Museumstickets zuhause an der Pinnwand, den Fotos aus der neuen Digitalkamera, die er als nachträgliches Geburtstagsgeschenk bekommen hat, und mit den Schokostreuseln auf dem Butterbrot, die seitdem Teil seines Alltags geworden sind.

Er sieht zu, wie Kevin das Brot von Justin nimmt, daran schnuppert und angeekelt das Gesicht verzieht. Würgegeräusche folgen, dann fliegt die zweite Brothälfte ebenfalls auf den Boden und mit der Butter-Streusel-Seite nach oben in eine kleine Pfütze. Die Brotdose folgt; Leo hört, wie etwas knackst und sieht einen Riss in der Seitenwand im Plastik.

Leo schluckt verbissen gegen die Tränen an und starrt verkrampft nach vorne. Bloß nicht hinunterschauen.

“Hamsterkacke!” Justins vergnügtes Kreischen fährt Leo durch Mark und Bein. “Ey, Nadine! Hast du schon gesehen? Der Hölzer frisst Hamsterkacke, aufs Pausenbrot gestreut!”

Gelächter und Gekicher kommen aus der Ecke, wo die Mädchen der Klasse in einem Grüppchen zusammenstehen.

Es ist das letzte Mal, dass Leo etwas Essbares in die Schule mitbringt. Zuhause sagt er nichts, sondern ist nur froh, dass seine Mutter bald ohnehin aufhört damit, für ihn und Caro Brotdosen zu packen. Stattdessen bekommen sie einfach beide eine Taschengelderhöhung und den Auftrag, sich morgens selbst beim Bäcker oder im Supermarkt etwas zu holen.

Leo wagt es nicht, etwas zu kaufen. Nicht, wo er noch Wochen später gefragt wird, ob sein Hamster tot ist und er deshalb keine Brote mehr dabei hat. Für den Rest des Schuljahres hält er den Kopf unten und versucht einfach nur, jeden einzelnen Tag ohne Schubsereien, ohne spitze Bemerkungen oder verschwundene Schulsachen durchzustehen.

Es gelingt ihm nicht immer. Und selbst wenn es klappt, knurrt ihm der Magen dabei.