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Language:
Deutsch
Stats:
Published:
2024-01-01
Completed:
2024-01-01
Words:
5,692
Chapters:
6/6
Comments:
18
Kudos:
85
Bookmarks:
2
Hits:
644

(Gefühle gehen) durch den Magen

Summary:

Essen. Eines der einfachsten Dinge der Welt, und doch oft so unendlich kompliziert, wie Leo es immer wieder erlebt.

Fünf Momente, in denen Leo Situationen rund um das Essen in Gedankenspiralen schicken und einmal, als er nicht nachdenken muss.

Notes:

Vielen Dank an die üblichen Verdächtigen für den initialen Gedankenanstoß und den Schokostreuselbrot-Diskurs. Und an Maddy für den hilfreich-kritischen Blick. ❤️

Leo hat ein grundsätzlich gesundes und entspanntes Verhältnis zu Essen an sich in dieser Story. Die Herausforderungen entstehen durch die Situationen rundherum, aber es werden hier keine Essstörungen oder Ähnliches thematisiert.

Warnung: Das erste Kapitel dreht sich um ein recht ausführlich beschriebenes Mobbing-Erlebnis von Leo in der Schulzeit. Wer das lieber nicht lesen möchte, springt bitte direkt zu Kapitel 2.

(See the end of the work for more notes.)

Chapter Text

Leo denkt sich nichts dabei, als er am ersten längeren Schultag nach den Sommerferien in der Mittagspause seine Brotdose auspackt. Er ist es gewöhnt, mittags in der Schule zu essen - das hat er schon seit der ersten Klasse in der Nachmittagsbetreuung so gelernt - aber dieses Jahr läuft zum ersten Mal der Unterricht bis in den Nachmittag hinein und seine ganze Klasse ist hier im Schulhof verteilt und vertreibt sich die Zeit bis zur Musikstunde.

Er hat eine der Sitzbänke im Schatten unter den Ahornbäumen ergattert und sich gerade eingerichtet, die Schultasche links neben sich und die Brotdose rechts, als Justin und Kevin auf ihn zusteuern.

Kevin ist dieses Jahr sein Sitznachbar in der Schule und zwar nicht allzu begeistert davon, aber bisher immerhin nett gewesen. Mit ihm kommt Leo klar, oder hofft es zumindest. Weil wenn er etwas nicht nochmal will, dann ist es eine Situation wie mit Justin im Vorjahr, als sie nebeneinander saßen, Leo am Fenster und Justin auf der Gangseite des Tisches. Es war ein guter Tag, wenn keine Worte gesprochen wurden, oder wenn Leo nicht fast zusammenbrach vor Verzweiflung, weil er es nicht wagte, aufzustehen und an Justin vorbei zur Toilette zu gehen.

"Hey, Hölzer." Kevin schaut ihn neugierig an und kommt näher, bis er sich neben Leos Rucksack auf die Bank setzen kann. "Hier noch frei?"

Als ob das noch einen Unterschied macht. Leo nickt vorsichtig und versucht, sich seine Resignation nicht anmerken zu lassen. Er hat gehofft, dass es mit Kevin dieses Jahr funktionieren wird, aber wenn der jetzt schon mit Justin Zeit verbringt, dann hat er bestimmt schon alle möglichen Dinge über Leo erzählt bekommen. Und Justin kann da sehr überzeugend sein, das weiß Leo zur Genüge. Dass alle in der Klasse Justin die verdrehten, erfundenen, übertriebenen Geschichten glauben, ist fast noch schlimmer als die Tatsache, dass sich keiner die Mühe macht, Leo nach seiner Version zu fragen.

Auf seiner anderen Seite nimmt Justin Platz. Für Leo ist es ein Kampf, nicht zusammenzuzucken oder die Flucht zu ergreifen. Aber er weiß, dass er verloren hat, wenn er jetzt aufsteht.

"Was hat dir deine Mama", Justin betont das Wort fast schon höhnisch, "diesmal eingepackt? Ein Hipp-Gläschen für ihr Baby?"

Leo möchte im Boden versinken, einfach weil er keinen Weg aus dieser Situation hinaus sieht. Seine Hände zittern vor plötzlicher eingebildeter Kälte, als er nach der Brotdose greift.

Justin ist schneller. Bevor Leo reagieren kann, hat er sich die Brotdose geschnappt, den Deckel aufgeklappt und schaut hinein.

“Was zur Hölle frisst du da, Hölzer? Was soll das denn sein?”

“Gib das her, Justin.” Leo muss es zumindest versuchen, auch wenn er weiß, dass es zwecklos ist.

“Erst wenn du mir erklärst, was das für ein Zeug sein soll.” Justin nimmt das Brot aus der Dose und Leo weiß jetzt schon, dass er es nicht mehr essen wird. Nicht, wenn Justin es angefasst hat. Außerdem denkt er sowieso nicht, dass er es zurückbekommen wird.

Er behält recht.

“Scheiße, was soll das denn sein?” Justin hat das Brot aufgeklappt und wirft die obere Hälfte achtlos auf den Boden, wo es auf dem schmutzig-staubigen Kies liegenbleibt. Hastig versucht Leo, möglichst teilnahmslos zu wirken. Wenn er jetzt den Tränen nachgibt, die in seinen Augen brennen, dann ist es vorbei.

Es ist nur ein Pausenbrot. Leos Pausenbrot, das jetzt von Justin unter Glucksen und Johlen näher begutachtet wird. Mit zwei Fingern zieht er auch die untere Hälfte aus der Box und wedelt damit herum. Kleine braune Schokostreusel lösen sich von der Butter und fliegen in alle Richtungen.

“Was soll das sein, Hölzer? Sieht ja aus, als hätt dein Hamster aufs Brot gekackt!”

“Total!” Kevin lehnt sich nun auch nach vorne und bekommt das Brot von Justin unter die Nase gehalten, bis er laut lacht. Der Klang fährt Leo eiskalt den Rücken hinunter. “Hamsterscheiße! Hölzer, wieso frisst du das? Macht ihr das alle bei euch zuhause?”

Leo würde es so gerne erklären. Würde gerne erzählen, wie sie diesen Sommer für eine Woche in den Niederlanden waren, weil seine Eltern beruflich in Amsterdam zu tun hatten. Würde so gerne beschreiben, wie das Frühstück im Hotel ausgesehen hat und wie er von einer Mitarbeiterin dort gelernt hat, dass man in den Niederlanden Schokostreusel auf Buttertoast packt.

Eine schöne Woche war das, weil seine Eltern tatsächlich ein wenig mehr Zeit für ihn und Caro hatten. Sie konnten gemeinsam ein paar Ausflüge machen und sogar eine Schiffsfahrt durch die Grachten, und Leo hat heute noch den Geruch von Wasser und Schiffsdiesel in der Nase und spürt die Vibrationen des Motors unter den Füßen, wenn er sich ein wenig anstrengt. Wunderbar war das und hat sich angefühlt, als würde alles ein wenig wärmer und enger werden. Leo hätte sich das gerne länger bewahrt, mit den gesammelten Museumstickets zuhause an der Pinnwand, den Fotos aus der neuen Digitalkamera, die er als nachträgliches Geburtstagsgeschenk bekommen hat, und mit den Schokostreuseln auf dem Butterbrot, die seitdem Teil seines Alltags geworden sind.

Er sieht zu, wie Kevin das Brot von Justin nimmt, daran schnuppert und angeekelt das Gesicht verzieht. Würgegeräusche folgen, dann fliegt die zweite Brothälfte ebenfalls auf den Boden und mit der Butter-Streusel-Seite nach oben in eine kleine Pfütze. Die Brotdose folgt; Leo hört, wie etwas knackst und sieht einen Riss in der Seitenwand im Plastik.

Leo schluckt verbissen gegen die Tränen an und starrt verkrampft nach vorne. Bloß nicht hinunterschauen.

“Hamsterkacke!” Justins vergnügtes Kreischen fährt Leo durch Mark und Bein. “Ey, Nadine! Hast du schon gesehen? Der Hölzer frisst Hamsterkacke, aufs Pausenbrot gestreut!”

Gelächter und Gekicher kommen aus der Ecke, wo die Mädchen der Klasse in einem Grüppchen zusammenstehen.

Es ist das letzte Mal, dass Leo etwas Essbares in die Schule mitbringt. Zuhause sagt er nichts, sondern ist nur froh, dass seine Mutter bald ohnehin aufhört damit, für ihn und Caro Brotdosen zu packen. Stattdessen bekommen sie einfach beide eine Taschengelderhöhung und den Auftrag, sich morgens selbst beim Bäcker oder im Supermarkt etwas zu holen.

Leo wagt es nicht, etwas zu kaufen. Nicht, wo er noch Wochen später gefragt wird, ob sein Hamster tot ist und er deshalb keine Brote mehr dabei hat. Für den Rest des Schuljahres hält er den Kopf unten und versucht einfach nur, jeden einzelnen Tag ohne Schubsereien, ohne spitze Bemerkungen oder verschwundene Schulsachen durchzustehen.

Es gelingt ihm nicht immer. Und selbst wenn es klappt, knurrt ihm der Magen dabei.

Chapter Text

“Hey! Hölzer!”

Das Klopfen an seiner Zimmertür, das Leo die ersten paar Mal ignoriert hat, lässt nicht locker. Mit einem Seufzen markiert er sorgfältig die Seite mit einem Post-It, bevor er das Strafrechts-Skriptum neben sein Kopfkissen legt und sich vom Bett auf die Füße rollt.

“Ich weiß, dass du zuhause bist! Und bei dir brennt Licht, also pennst du nicht. Oder bist eingeschlafen, und dann tu ich dir gerade einen Gefallen, wenn ich dich aufwecke.”

Das klingt immerhin nicht wie die Vollidioten von gegenüber. Zwei Verwaltungsdienststudenten, die nichts Besseres zu tun haben, als jedes Wochenende und gelegentlich auch am Mittwoch Party zu machen, bis bei Leo der Bass und der Grasgeruch das Zimmer füllen und ihn regelmäßig in die Flucht treiben. Er ist mittlerweile an diesen Tagen spätnächtlicher Dauergast im Fitnessraum unten im Keller, der dann immer menschenleer ist und wo er in Ruhe lernen oder in letzter Zeit auch trainieren kann. Seit ein paar Wochen hat er einen Weg ausgetüftelt, um seine Bücher auf dem Ergometer so in eine kleine selbstgebastelte Halterung hineinzuklemmen, dass er beim Training den Kopf nicht nur leerbekommt, sondern mit Forensik-Theorie füllen kann.

Aber das sind jetzt nicht die Stimmen von den beiden, und als Leo widerwillig die Tür entsperrt und öffnet, steht eine der Studentinnen aus seinen Vorlesungen vor ihm. Pia, erinnert er sich nach einer Sekunde; die ist eigentlich im Jahr unter ihm, zieht aber schon ein paar Prüfungen vor.

Normalerweise sieht er sie mit ihrer bunten Leinentasche mit den Papageien-Aufdrucken, die Arme um ihr Notebook gewickelt, das ihr ständiger Begleiter ist. Heute fehlen sowohl Tasche als auch Notebook, aber wenigstens trägt sie eine ihrer typischen Sportjacken. Und hält einen Teller mit einem großen Stück Schokokuchen und Schlagsahne in der Hand, den sie ihm entgegenhält, sobald sie ihn sieht.

“Kuchen?”

Leo verkneift sich die spontane, sarkastische Bestätigung, dass es sich hierbei augenscheinlich um Kuchen handelt und weitere Untersuchungen wohl eher bei der KTU stattfinden müssten, und blinzelt sie stattdessen fragend an.

Pia lächelt zurück. “Ich hab Geburtstag, und. Bianca hat mir den gebacken. Möchtest du ein Stück? Du warst vorhin nicht in der Küche, da dachte ich, du hast vielleicht den Aushang nicht gesehen.”

Leo hat den Aushang gesehen. Ein Zettel unten an der Eingangstür, dass heute eine Geburtstagsparty in der Gemeinschaftsküche im dritten Stock stattfindet. Er hat geseufzt, seinen Gehörschutz vom Schießtraining herausgesucht und sich darauf eingestellt, dass es heute Nacht mühsam werden wird. Bisher hält es sich allerdings tatsächlich in Grenzen mit dem Lärm und er ist bis jetzt vorsichtig optimistisch gewesen, dass er ohne genervte Verzweiflung in den Schlaf finden könnte. Da hat er allerdings nicht damit gerechnet, dass jemand tatsächlich bei ihm aufkreuzt. Normalerweise passiert das nicht.

“Alles Gute.” Das ist eine unverfängliche Reaktion, entscheidet er, und das sagt man doch so.

“Danke.” Pia strahlt ihn an und hebt den Kuchenteller etwas höher. “Na, willst du?”

Er zögert und hasst sich für einen Moment selbst dafür. Pia will ihm nichts Böses, das weiß er. Niemand hier interessiert sich genug für ihn, um ihm aktiv schaden zu wollen; eine Erleichterung nach der Schulzeit. Anderen egal zu sein, kann manchmal eine Wohltat sein. Aber jetzt gerade weiß er nicht, was er damit anfangen soll, dass hier jemand steht, an ihn gedacht hat und jetzt wohl erwartet, dass er das anerkennt.

Sicherheitshalber nickt er und nimmt den Kuchen an, als Pia ihm den Teller noch ein Stückchen weiter entgegenstreckt.

“Schoko mit Starkbier. Die Promille sollten rausgebacken sein, aber nur zur Warnung, falls Alkohol nicht deins ist.”

Leo nickt noch einmal. “Danke”, sagt er, weil er nicht recht weiß, was sonst noch von ihm verlangt wird. “Ich bring dann den Teller zurück in die Küche.”

Irgendwann morgen früh um halb fünf, wenn dort gähnende Leere herrscht. Leo hat mittlerweile die Zeiten ausgetüftelt, wo er das geringste Risiko läuft, jemandem zu begegnen. Es ist nicht so, dass er Angst vor seinen Mitstudierenden hat, aber er fühlt sich wohler, wenn er nicht in diese seltsamen kleinen sozialen Interaktionen gezwungen wird, wo ihm schmerzhaft klar wird, dass er wieder mal ein Außenseiter ist. Er kann nicht mitreden darüber, was vorige Woche bei dem kleinen Freiluftkonzert am St. Johanner Markt passiert ist, war nicht mit einer der Gruppen im Kino oder beim spontanen Picknick am Wochenende. Und er hat zwar mitbekommen, dass Karsten und Kerstin - vokalverschobenes Traumpaar - sich getrennt haben und weiß im Gegensatz zu allen anderen auch den Grund dafür, weil er Kerstin knutschend mit Karin im Müllraum über den Weg gelaufen ist. Aber er will sich nicht am Tratsch darüber beteiligen und wüsste auch nicht wie.

Also hält Leo sich aus den Treffen und aus der Küche großteils raus. Mit seinem Wasserkocher und seinem kleinen Kühlschrank unter dem Schreibtisch kommt er erstaunlich weit, was die Essensversorgung angeht.

Dass Pia sich jetzt an seine Existenz erinnert hat und sich auch noch die Mühe macht, ihm freundlich Kuchen vorbeizubringen, wirft ihn ein wenig aus der Balance.

Ihre nächsten Worte noch ein wenig mehr.

“Kannst auch gerne noch rüberkommen, wenn du magst. Wir sind nicht so viele, das ist recht übersichtlich. Alles nette Leute. Und Chris und Alex haben eh keine Zeit.” Den letzten Satz sagt Pia mit einem Augenzwinkern, das Leo das Gefühl gibt, dass sie weiß, dass er mit den beiden nicht recht klarkommt und sich unwohl in ihrer Gegenwart fühlt.

Er weiß nicht, was er davon halten soll, dass er wohl so durchschaubar ist. Oder dass Pia sich die Mühe macht, sich so etwas zu merken und es ihm als Versicherung auch noch zu sagen, weil sie wahrscheinlich nett sein möchte.

Vielleicht wäre es schön, für dreißig Minuten rüberzugehen. Manchmal vermisst er solche Momente. Aber da ist auch diese Hürde in seinem Kopf, die ihm sagt, dass es wehtut, wenn man sich anfreundet und das dann vorbei ist. Das Studium geht nur noch zwei Jahre, wer weiß, wo sie dann alle landen. Das kann alles so schnell wieder vorbei sein. Da ist es besser, er wartet auf seine endgültige Dienststelle und freundet sich dann dort mit seinem Team an. Die bleiben wahrscheinlich länger als die paar Studienjahre, da ist dann das Risiko geringer, dass sie gehen und Leo wieder alleine zurückbleibt.

“Ich geh noch das Kapitel fertig durch, aber vielleicht komm ich dann vorbei.” Das klingt nach einem guten Kompromiss, findet er, auch wenn er weiß, dass er das Kapitel heute nicht mehr schaffen wird. Aber es ist kein klares Nein, und Pia scheint es zu reichen, so wie sie ihm zunickt.

“Viel Erfolg, schnüffel mal nicht zu lang an den Leuchtmarkern.” Sie zwinkert ihm zu. “Außer natürlich, du stehst drauf. Bis nachher!”

Mit den Worten hat sie schon wieder umgedreht und trabt fröhlich den Gang entlang in Richtung Küche. Leo sieht ihr hinterher, Türklinke in einer Hand und Kuchenteller in der anderen, und ist noch einmal versucht, ihr hinterherzulaufen.

Dann schüttelt er aber doch den Kopf, zieht die Tür wieder hinter sich zu, stellt den Kuchen auf seinem kleinen Schreibtisch ab und setzt sich zurück aufs Bett, um weiterzulernen.

Chapter Text

Leo holt noch einmal tief Luft, als er durch die Tür des Treppenhauses hinaus auf den Flur des ersten Stocks tritt, die raschelnde Bäckertüte vorsichtig in den klammen Fingern gehalten. Es ist eine Kleinigkeit, aber er hat sich hier trotzdem Mühe gegeben und er weiß, dass das wichtig ist. Hörnchen fürs Team, weil man das eben so macht und er es in den letzten Monaten nicht hinbekommen hat. Zuerst hat er diese kleine soziale Geste nicht ganz durchschaut, dann war es schwierig, weil ihn sein Partner in der Früh immer zuhause eingesammelt hat und Leo keine Chance hatte, vorher in eine Bäckerei zu kommen. Und um einen Zwischenstopp zu bitten, hat sich seltsam aufdringlich angefühlt.

Aber jetzt hat er seinen eigenen Dienstwagen zugeteilt bekommen und kann tatsächlich kurz Halt bei der guten Bio-Bäckerei in Alt-Saarbrücken machen, ohne dass es jemandem zur Last fällt, und dem Team hoffentlich eine Freude machen. Er hat es in den letzten Wochen schon nicht mehr gewagt, die Hörnchen anzurühren, die Baumann, Kovac oder Pia mitgebracht haben, weil er nie eine Gegenleistung dafür bringen konnte. Aber jetzt will er daran arbeiten, das hat er sich vorgenommen.

Mehr Offenheit, weniger Distanz.

Leo hat keine Illusionen, dass Hörnchen die Atmosphäre im Team auflockern werden, aber es klingt nach einem guten ersten Schritt, der auch im Seminar vorige Woche betont wurde. Alternativ waren da die Vorschläge noch ein gemeinsames Essen nach der Arbeit oder ein Feiern von Geburtstagen, aber Leo denkt nicht, dass es ihm zusteht, solche Vorschläge zu machen. Das ist die Rolle vom Teamleiter, und Kovac hat sich bisher nicht groß darum gekümmert. Leos Geburtstag zumindest ist unter den Tisch gefallen; die von Pia und der Baumann sind erst in ein paar Monaten.

Vorsichtig macht er die Bürotür auf und tritt ein, hat für einen absurden Moment den Gedanken, die Hörnchentüte hinter seinem Rücken zu verstecken. Schüttelt dann aber innerlich über sich selbst den Kopf, murmelt den Kolleginnen einen Gruß zu und hängt seine Jacke sauber über seinen Stuhl, bevor er die Tüte wieder in die Hand nimmt.

“Ich hab Hörnchen mitgebracht.” Die Worte fühlen sich wie ein Wagnis an.

Ein wenig muss er lächeln, als Pias Kopf sofort nach oben geht wie bei einem Jagdhund, der das Rascheln der Beute im Gebüsch gehört hat. Oder eben das Rascheln der Bäckertüte.

“Hörnchen!” Fast andächtig klingt sie. “Super. Frühstück war eh nicht drin heute.” Eilig rollt sie auf ihrem Stuhl in seine Richtung, die Hände schon ausgestreckt, und Leo wird es kurz ein wenig warm ums Herz, weil es einfach schön ist, dass Pia so begeistert ist und er ihr eine Freude machen kann.

Sogar die Baumann wirft ihm einen Blick zu, der deutlich friedlicher ist als das, was er sonst von ihr erwarten kann. Im Gegensatz zu Pia steht sie allerdings auf und macht die paar Schritte auf ihn zu, anstatt sich in ihrem Bürostuhl mit Schwung auf besockten Füßen quer durch den Raum zu schieben. Bei Pia sind heute wieder die bunten Ringelsocken angesagt, stellt Leo fest; normalerweise heißt das, dass sie ein wenig Aufmunterung braucht. Ein Funken Zufriedenheit flackert in ihm auf, als er sich vorstellt, dass er ihren Tag ein wenig schöner machen kann mit einem kleinen Teilchen Feingebäck.

Er hält ihr die Tüte hin und merkt zunächst gar nicht, dass sie zögert. Erst als sie nicht hineingreift, sondern stattdessen das Papier glattzieht, sieht er sie fragend an.

“Die sind ja von der Nobelbude in der Altstadt.” Pia klingt seltsam vorwurfsvoll.

“Ja?” Leo runzelt die Stirn und merkt, wie sich alles in ihm anspannt. “Hab ich da was falsch gemacht?”

Pia greift nun doch in die Tüte und zieht eins der Hörnchen heraus, die für Leo aussehen wie alle anderen. Goldbraun, mondsichelförmig, riechen nach frisch gebackenem Teig. Hörnchen eben. Aber offensichtlich ist daran irgend etwas nicht in Ordnung, sonst würde Pia anders reagieren.

“Schon okay”, sagt sie und zupft ein Stückchen von ihrem Hörnchen-Ende herunter. “Die von der Balkan-Bäckerei unten um die Ecke sind nur besser. Aber danke trotzdem.”

Leo erstarrt. Am liebsten würde er ihr das Hörnchen wieder wegnehmen, die Tüte entsorgen und auf der Stelle umdrehen, um von der richtigen Bäckerei Hörnchen zu holen. Wie hat er das übersehen können? Er weiß doch, welche Papiertüten normalerweise hier im Büro herumliegen, und jetzt wo er darüber nachdenkt, weiß er auch, welches Logo da üblicherweise darauf zu sehen ist.

Fuck. Er war so erpicht darauf, zu zeigen, dass er sich die Mühe macht und die besonderen Bio-Hörnchen aus der Bäckerei holt, wo sie noch komplett in Handarbeit backen, dass er gar nicht darauf geachtet hat, wo die Vorlieben des Teams liegen.

Nicht mal so was Simples wie Hörnchenbeschaffung kriegt er hin.

“Wolltest dich wohl einschleimen mit den teuren Hörnchen”, sagt Esther und holt sich ihres ab. “Netter Versuch, Hölzerchen.”

Er wünscht sich, er könnte im Boden versinken. Da ist es egal, dass Pia und die Baumann ihre Hörnchen ohne weitere Kommentare verputzen und Kovac seines mit einem dankenden Nicken aus der Tüte holt. Für Leo ist der Tag eine Tortur und er ist einfach nur noch froh, dass er mittags die leere Papiertüte entsorgen kann und sie wenigstens nicht mehr ständig vor Augen hat.

Am nächsten Tag bringt Pia Hörnchen aus der stinknormalen Bäckerei um die Ecke mit. Vier Stück, wie immer. Leo isst sein zugeteiltes Hörnchen nicht, wie in den letzten Wochen immer, bis Pia und die Baumann es sich freundschaftlich teilen und mit Kovac darüber scherzen. Wie immer.

Chapter Text

Adam ist wieder da.

Adam ist wieder da und ist wieder in diesem ganzen Müll rund um seine Familie verheddert, und Leo ist ihn dumm angegangen deswegen. Er weiß, dass das nicht fair war, auch wenn es von Adam ebenfalls nicht fair war, nicht mit ihm darüber zu reden. Sie hängen da doch beide mit drin, da geht es nicht, dass sie sich Dinge verschweigen, die sie beide den Job, den Ruf und die Freiheit kosten können, wenn das alles auffliegt.

Aber dafür ist keine Zeit; sie haben einen Fall, in dem gerade nichts nach Plan läuft und alle ihre Ermittlungsansätze sinnlos verpuffen. Esther beißt sich an den Fakten die Zähne aus, Pia steigert sich in psychologisch motivierte Theorien rein, als wären sie hier nicht in Saarbrücken sondern mitten im Schweigen der Lämmer. Leo muss sich mit Teenagern herumschlagen, was er schon gehasst hat, als er selber noch in dem Alter war, und Adam ist einfach absolut nicht bei der Sache, sondern hat wieder diesen gehetzt-verschlossenen Blick in den Augen, der Leo vor fünfzehn Jahren schon jedes Mal das Herz gebrochen hat.

Die ganze Situation fühlt sich einfach nur noch an, als würde alles neben der Spur laufen, und Leo hat keine Ahnung, wie er das alles wieder in richtige Bahnen lenken kann. Seine Ruppigkeit Adam gegenüber hat er schon bewusst zurückgefahren, und auch bei Pia gibt er sich Mühe, ihre schrägeren Ideen nicht sofort abzuwürgen, sondern ihr zuzuhören. Bei Esther weiß er nichtmal im Ansatz, wie er ihren Frust besänftigen könnte, hat aber mittlerweile den Eindruck, dass sie ihre Launen einfach nur in Ermittlungsenergie umwandelt, also lässt er sie in Ruhe. Das scheint sowieso das Beste zu sein bei ihr.

Trotzdem. Sie sind alle müde, gereizt und verlieren ob der unübersichtlichen Faktenlage und dem ganzen Scheiß mit Adams Vater hier schon komplett den Blick auf das Wesentliche. Leo zerbricht sich stundenlang den Kopf, klickt sich verzweifelt durch Fallakten und KTU-Berichte, Autopsieergebnisse und seine Mails. Bleibt schlussendlich bei einem Werbeschreiben des Theaterschiffs hängen, das an alle Mitarbeitenden gegangen ist und einen netten Abend mit Musik und freiem Eintritt bewirbt. Diesen Abend.

Adam ist gerade wieder bei seinen Eltern, aber Esther und Pia sind mit erstaunlich viel Enthusiasmus dabei, als Leo zögerlich vorschlägt, eine Teamveranstaltung draus zu machen. Sie haben so etwas noch nie getan, nicht einmal bei gemeinsamen Fortbildungen, bei denen sie alle im selben Hotel irgendwo im Nirgendwo festgesessen sind.

Für eine kleine Weile bereut Leo seinen Vorschlag fast schon. Das ist hier nicht so durchdacht, wie er es gerne hätte; er hatte nicht einmal Zeit, um sich über die Location oder die Getränke oder die Uhrzeit Gedanken zu machen. Das fühlt sich alles gerade zu unvorbereitet für seinen Geschmack an, und es ist fast schon mit der Hoffnung auf eine Absage, mit der er Adam anruft.

Der zusagt und so klingt, als könnte er es nicht erwarten, einen Grund zu haben, aus dem verdammten Betonbunker zu entkommen.

Der Abend wird überraschend nett, obwohl Leo permanent in Alarmbereitschaft ist, um einzugreifen, falls etwas schiefläuft. Und er scheint auch fast sofort recht zu bekommen in der Hinsicht, als Adam seine spitzen Bemerkungen nicht im Griff hat und Esther es ihm nicht durchgehen lässt.

Leo kennt Adam gut genug, um zu wissen, dass er normalerweise nur verletzende Dinge sagt, wenn er es ganz bewusst so meint und verletzen will. Aber heute Abend wirkt er seltsam verloren und so, als würde er gar nicht nachdenken, sondern einfach nur nicht der einzige sein wollen, dem wehgetan wird.

Weil dass ihm wehgetan wurde, vom alten Schürk, daran besteht für Leo kein Zweifel. Auch dafür kennt er Adam gut genug, um das selbst nach so langer Zeit problemlos zu sehen. Also versucht er, Adam einzubremsen, bevor Esther die Nase voll haben und ihm eine scheuern kann, weil er ihre Grenzen überschreitet und ihre Warnungen nicht bemerkt. Wenn Adam seine Launen schon unbedingt an jemandem auslassen will, dann bitte an Leo. Weil er Adam kennt, weil er Adam zu nehmen weiß, und weil er es vielleicht auch ein kleines bisschen verdient hat.

Aber mit jeder geklauten Erdnuss, die Adam wie eine Elster von den umliegenden Tischen stibitzt, bis Esther ihm mit einem Augenrollen eine eigene Schüssel organisiert, wird er ruhiger und damit die Stimmung lockerer. Ganz vergessen können sie den Fall nicht, dafür ist das alles zu präsent und akut, aber das Kickern macht erstaunlich viel Spaß und Leo ertappt sich dabei, dass er richtiggehenden Ehrgeiz entwickelt.

Spätabends wandern sie noch durch die fast leeren Straßen, Pizzastücke vom letzten offenen Imbiss in den Händen, und Pia knufft Leo freundschaftlich gegen die Schulter.

“Können wir öfters machen”, sagt sie, und Leo fühlt, wie sich etwas in ihm entspannt.

Chapter Text

Sie machen es öfters. Oder zumindest gelegentlich.

Leo gewöhnt es sich an, nach einem erfolgreichen Fall Pizza zu bestellen, sobald die letzten Kartons mit den Akten und Beweismitteln weiter zur Staatsanwaltschaft geschickt worden sind. Er achtet auf Geburtstage und Feiertage, bringt Kuchen oder Gebäck mit und kümmert sich um eine bessere Kaffeemischung für die kleine Maschine in ihrem Büro. Sogar Esthers seltsamen Rooibos-Tee setzt er auf die Liste.

Er mag es, wenn das Team glücklich und zufrieden zusammensitzt. Essen ist etwas, das in ihrem Job oft genug zu einer hektischen Nebensache wird, und es lockert einen Knoten in Leos Bauch, wenn er zusehen kann, wie alle für eine kleine Weile zur Ruhe kommen und loslassen. Es tut ihnen gut, und das tut Leos Sinn für Verantwortung gut. Die Seminare, in die er seit der Übernahme der Teamleitung immer wieder geschickt wird und wo ziemlich weltfremde Menschen über Human Resources, Motivation und Verhaltensgitter, Management by Objectives oder Bedürfnispyramiden reden, sind zwar meistens nicht allzu relevant für seinen Alltag, aber er versucht immer, die sinnvollen Details herauszufiltern. Und eine Sache, die er sich gemerkt und notiert hat, ist, dass gemeinsames Essen motiviert und verbindet.

Leo gibt sich Mühe, und meistens wird es ein schöner Abend.

Er denkt allerdings nicht, dass sie noch einmal in das chinesische Restaurant gehen werden, in dem der ganze Irrsinn rund um Roland Schürk seinen Anfang genommen hat. Oder dass Adam noch einmal einen Glückskeks anfassen wird.

Leo hat ihn nie gefragt, ob er an die Botschaften in Glückskeksen glaubt. Aber eines Nachts, Wochen nachdem Adams Unschuld bewiesen war, findet Adam nach einem Alptraum nicht mehr zur Ruhe. Stumm liegen sie beide nebeneinander in der Dunkelheit von Leos Schlafzimmer, wo Adam jetzt immer noch die Nächte verbringt, weil Alleinsein und Schlaf nicht zusammengehen für ihn.

"Ihr Charme ist überwältigend”, flüstert Adam irgendwann. “Scheiß-Glückskeks. Diese ganze verfickte Nacht hatte ich das vor Augen, während ich der Drecksau beim Sterben zusehen musste. Keine Ahnung, was daran charmant sein sollte.”

Leo weiß nicht, was er darauf sagen könnte, also rutscht er einfach nur etwas näher an Adam heran, um irgendwie dieses Zittern in seiner Stimme zu beruhigen. Er hat keine Ahnung, wie er das anstellen soll, aber er kann auch nicht einfach nur still da liegen und zuhören, wie Adam neben ihm langsam auseinanderfällt.

Irgendwann liegen sie beide zusammengedrängt unter Leos Decke, Adams Rücken an Leos Brust, Leos Arm fest um ihn gelegt. Schlaf finden sie beide keinen in dieser Nacht, aber seitdem wird es stetig besser.

Und trotzdem. Glückskekse? Teufelszeug, egal wie kitschig und erfunden. Leo weiß auch sehr genau, dass Adam seit dieser entsetzlichen Nacht in dem verdammten Sessel keine Geflügelgerichte mehr mag, wenn sie fürs Team chinesisches Take-Out holen. Oder dass Leo selbst auch darum einen Bogen macht, weil er bei gebratener Ente jetzt immer automatisch den Geruch des Tatorts in dem verdammten Bunker in der Nase hat.

Es wird besser, aber es hängen auch zu viele Erinnerungen an manchen Dingen, die Leo nicht herausfordern will. Also ist er behutsam mit allem, was ungute Gedanken zurückbringen kann, wenn Adam einen schlechten Tag hat, und lenkt die Team-Aufmerksamkeit eher auf den solide mittelmäßigen Pizzaladen oder die neue Currybude. Plant das Timing für chinesisches Essen so, dass es Adam nicht kalt erwischt, und tut sich auch selbst den Gefallen und sucht nur Lokale aus, die ganz anders und unbelastet sind, ohne Aquarien und schummrige Atmosphäre und Kekse mit Botschaften.

Allzu subtil ist er nicht, das weiß er seit dem Moment, als Esther unauffällig - aber nicht unauffällig genug für Leo - die Glückskekse aus der Takeout-Tüte vom Vietnamesen um die Ecke fischt und verschwinden lässt. Sie sieht hoch und ihre Blicke treffen sich; Esther nickt ihm zu und steckt die goldglitzernden kleinen Päckchen in ihre Jackentasche, bevor Adam etwas mitbekommt.

Chapter Text

‘Erledigt’ ist gar kein Ausdruck dafür, wie Leo sich fühlt, als er sich die letzten paar Stufen zur Wohnungstür hinaufschleppt. Den Schlüssel bringt er gerade noch irgendwie ins Schloss; die Schuhe hat er sich noch auf dem Hausflur von den Fersen getreten und bückt sich, um sie gleich ins Regal zu packen.

Es braucht ein paar Sekunden, bis sein müder Kopf in der warmen Wohnung die Kochgeräusche und die Gerüche registriert. Irgend etwas brutzelt in der Küche ganz aufgeregt und es riecht nach Ingwer und gebratenem Gemüse, nach gerösteten Erdnüssen und einfach nur nach Zuhause.

“Hey”, ruft er in die Wohnung, während er die Schuhe verstaut und seine Jacke an den Garderobenhaken hängt.

Aus der Küche kommt ein antwortender Ruf, unmittelbar gefolgt von lautem Geschepper und noch lauterem Gefluche. Immerhin klingt es nicht, als würde da irgend etwas akut eskalieren, also schüttelt Leo nur den Kopf, macht den üblichen Abstecher ins Arbeitszimmer, um Waffe und Holster loszuwerden, und folgt dann den jetzt etwas hektischer klingenden Geräuschen in die Küche.

Sie können beide nicht sonderlich gut kochen, aber die Basics bekommen sie üblicherweise hin und haben jeder ein paar Gerichte im Repertoire, die selten schiefgehen. Leo hat ein wenig darauf gehofft, Adam heute das Abendessen überlassen zu können, während er selbst in dieser nervenaufreibenden Quartals-Nachbesprechung gefangen ist; dass Adam sich seinem absoluten kulinarischen Endgegner stellen wird, war allerdings nicht eingeplant.

Im Kopf überlegt Leo schon, ob er Adam heute von Pizza oder doch lieber Indisch überzeugen will, falls sie nachher bestellen müssen, aber laut sagt er das natürlich nicht. Stattdessen schnuppert er demonstrativ, kuschelt sich für einen Moment an Adams Rücken, sorgsam außerhalb der Reichweite von Messern oder Kochlöffeln, tupft einen Kuss in seinen Nacken und lässt sich für einen Moment einfach nur in dieses wohlige Gefühl des Ankommens fallen.

“Du bist zu früh dran.” Adams Beschwerde klingt ein wenig genervt, aber der Ton wird sofort dadurch abgemildert, dass er den Kochspatel zur Seite legt, sich in Leos Armen umdreht und ihn küsst. Nicht tief, nicht lang, nur eine kleine Berührung ihrer Lippen, die aber ausreicht, um Leos Müdigkeit noch ein wenig zu vertreiben.

Er reibt seine Nase an Adams Wange und genießt das leichte Kratzen der Bartstoppeln, bevor er sich wieder ein wenig zurücklehnt und in Adams blaue Augen schaut. “Ich dachte, du freust dich.”

“Tu ich auch. Aber ich wollte dich überraschen.”

“Womit, mit der Feuerwehr vor dem Haus?”

Adam grummelt ihn an und wendet sich wieder den Pfannen auf dem Herd zu. “Wenn du mich hier auch unterbrechen musst.”

“Sorry. Ich kann auch wieder gehen.” Grinsend macht Leo ein paar Schritte zurück und lässt sich auf seinem Stuhl neben dem kleinen Esstisch nieder.

Kochspatel in der Hand, dreht Adam sich zu ihm um. “Untersteh dich. Hiergeblieben, Freundchen.”

Leo hebt die Hände, als würde er sich ergeben. “Pad Thai?”

“Wenn alles gutgeht. Fünf Minuten.”

Die Chancen stehen dann wohl irgendwo 50:50, wenn vergangene Versuche ein Indikator sind. Adams Sturkopf gegen ein trügerisch simples Gericht: immer ein Erlebnis mit Nervenkitzel-Potenzial. Leo macht es sich gemütlich, genießt die Show und kommt einfach mal zur Ruhe.

Er liebt diese Momente zuhause, wenn er nicht denken muss. Wenn alles um ihn herum passiert und er nichts hinterfragen muss, nicht auf der Hut sein muss und es nicht von ihm erwartet wird, dass er sich um alles kümmert, für alle mitdenkt und die Fäden in seiner Hand zusammenlaufen. Er weiß selbst, dass er das manchmal - oder mehr als nur manchmal - zu ernst nimmt, aber er arbeitet daran. Und gerade bei so fundamentalen Dingen wie der Essenszubereitung fällt es ihm nicht immer leicht, den Kopf auszuschalten und anderen das Kümmern zu überlassen, aber es wird besser. Und dass Adam ein recht gutes Gespür dafür hat, wann Leo trotzdem die Kontrolle über die Nudelsauce oder das Salatgemüse braucht, hilft ungemein.

Ein wenig liebt Leo ihn dafür. Er liebt ihn sogar sehr, für sein Wesen und sein großes Herz, seine Verletzlichkeit und seine Sturheit. Dafür, dass er sich immer bedingungslos hinter Leo gestellt hat und zu ihm zurückgekommen ist. Dafür, dass er eben Adam ist und Leos Herzensmensch, der ihn hält und auffängt und zum Lachen bringt und zur Weißglut treibt. Und eben ein klein wenig auch dafür, dass er versteht, wenn Leo sich zu viele Gedanken um Kleinigkeiten wie die richtige Chipssorte für den Team-Filmabend oder die Auswahl des Lokals für das gemeinsame Fall-Abschluss-Essen macht, weil er eben nicht aus seiner Haut kann.

Leo holt sich noch ein Glas Wasser und beginnt dann, den Tisch zu decken, während Adam mysteriöse Flüssigkeiten in einem Kaffeebecher zusammenrührt und dann hochkonzentriert über die Nudeln und Bohnensprossen in der Pfanne vor ihm kippt. Es riecht auf jeden Fall nicht verbrannt dieses Mal; Fortschritt, ganz eindeutig. Im Gegenteil riecht es sogar ziemlich gut, und in Leos Bauch kribbelt es glücklich-warm, als er die Anspannung aus Adams Schultern verschwinden sieht, je sicherer er wird, dass das heute klappt mit der Kocherei.

“Das riecht richtig gut”, kommentiert er leise, als er zwei Teller neben Adam auf die Arbeitsplatte stellt.

Adam brummt wortlos, seine ganze Aufmerksamkeit auf die Pfanne gerichtet, aber sein Mundwinkel zuckt nach oben, als Leo ihm einen Kuss auf die Wange drückt.

“Danke fürs Kochen.”

Er hört an der rasch hochgezogenen Nase, wie Adam nach einer passenden Antwort sucht. Sie sind beide Dankbarkeit nicht unbedingt gewöhnt und es fällt nicht immer leicht, sie anzunehmen. Aber sie werden besser darin.

“Morgen bist du dran”, sagt Adam schließlich und sie wissen beide, dass da mehr dahinter steckt. Dass er gerne für Leo kocht, wenn der zu erschöpft ist und es spät wird. Dass er sich freut, wenn er etwas für ihn tun kann. Genau wie sich Leo freut und wie auch er umgekehrt Adam das Leben ein wenig leichter machen will, da wo es in seiner Macht liegt und wo Adam es zulässt.

“Schwere Aufgabe, bei der Vorlage die du da geliefert hast.” Leo wartet, bis Adam das Pad Thai auf die beiden Teller verteilt hat, und trägt sie dann hinüber zum Tisch. Ein wenig auf der knusprigen Seite sieht das hier schon aus, aber falls Adam etwas dazu sagen sollte oder sich doch noch hinterfragt, wird Leo die dunkler geratenen Stellen einfach als Röstaromen abtun und sich weiter keine Gedanken darüber machen.

Adam brummt wieder, diesmal recht zufrieden, als das Essen anscheinend seinen Geschmackstest besteht, auch wenn er gelegentlich Leos Teller rasche Blicke zuwirft, als bräuchte er eine Bestätigung. Die Leo ihm gerne gibt, weil das hier wirklich keine Mühe macht. Vielleicht schmeckt es nicht ganz wie in der kleinen Strandbar auf Ko Samui, von der Adam ihm erzählt hat, aber Leo wird das nicht hinterfragen.

Manchmal ist Essen eben einfach nur Essen. Ein wenig dunkel geraten an manchen Stellen, die Nudeln vielleicht eine Spur zu weich, die Sauce ein bisschen zu sauer. Aber es schmeckt trotzdem, und was wichtiger ist: Es macht Adam glücklich, und damit macht es Leo glücklich.

Komplizierter muss es gerade nicht sein.

Notes:

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